Ziegel erzählen ihm ganze Geschichte(n)

Archäologe Dr. Jens Dolata liest aus Stempeln / Römische Legionen versorgten auch Heiligtum / "Sensationelle Fülle".
Bernd Funke, Allgemeine Zeitung Mainz, 31.08.2005
Dr. Jens Dolata vergleicht einen gestempelten Ziegel mit bereits katalogisierten Stempeln.
Der Archäologe Dr. Jens Dolata ist überwältigt von der Vielzahl der Funde aus der Lotharpassage. Der 37-Jährige, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Archäologischen Denkmalpflege, gilt als Spezialist, wenn es darum geht, Herstellermarken auf den Baukeramikfunden des "Heiligen Bezirks" für die Göttinnen Isis und Mater Magna zu lesen und auszuwerten.
Die Legionen, die Ziegel für den
Heiligen Bezirk beisteuerten:

XXII. Legion Primigenia
IV. Legion Macedonica
XIIII. Legion Gemina
I. Legion Adiutrix
XXI. Legion Rapax
VIII. Legion Augusta
Die Ziegel stammen zu jeweils einem Drittel aus claudisch-neronischer Zeit (43 bis 69/70 n.Chr.), flavischer Zeit (69/70 bis 96/97 n.Chr.) und vom Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. (bis etwa 120 n.Chr., Regierungszeit des Traian).
"Die 430 Ziegelstempel aus der Lotharpassage stellen zehn Prozent aller bisher in Mainz gefundenen Ziegelstempel dar", erklärt Dolata. Seine Forschungsergebnisse ("Ich arbeite mit etwa zwölf Institutionen zusammen") will er in das Manuskript für ein Buch einarbeiten, das Ende des Monats abgeschlossen wird. "Das ist der erste Teil einer Fundvorlage aller römischen Ziegelstempel aus Mainz und wird mit rund 2000 Katalognummern etwa die Hälfte aller bekannten Mainzer Stempel umfassen", kündigt Dolata die Publikation aller militärischen Ziegelstempel des ersten Jahrhunderts an. Er wird sie neu benennen und die best erhaltendsten im Bild zeigen. "Damit findet die seit mehr als zehn Jahren von mir unternommene Funddokumentation Mainzer Ziegelstempel einen ersten Abschluß", freut sich Dolata, der sich der Hilfe von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und (wegen der Datenfülle) Mathematikern bedient.
Stutzig macht, daß das von einer Privatperson gestiftete Isis-Heiligtum mit Ziegeln gedeckt war, die aus den Heeresziegeleien von Rheinzabern, Frankfurt-Nied oder Straßburg-Königshofen stammten. Ein früher Fall von "Schwarzhandel"? Dolata lacht: "Es stimmt schon, daß wiederholt und in großem Stil im Heiligtum quasi staatliches Baumaterial verwendet worden ist. Aber der Heilige Bezirk stand auch in besonderer Gunst der kaiserlichen Statthalter." Wohl weil der Kaiser im fernen Rom dem Isis-Kult zugetan war, haben die in Mainz residierenden Provinzgouverneure immer wieder die Verwendung von staatlichem Baumaterial zumindest geduldet, wenn nicht sogar angeordnet. "Man könnte von vorauseilendem Gehorsam sprechen", meint Dolata. Etwa im Abstand von 30 Jahren seien die Dächer neu eingedeckt worden, hat der Archäologe herausgefunden. "Jahrgenau kann man die Renovierungen durch die Geochemie feststellen", weiß Dolata und stellt nebenher nicht ohne Stolz fest: "Daß in Mainz auf Ziegelfunde geachtet wird, das liegt an meiner Person." Das war durchaus nicht immer so. Wurden Ziegelreste früher entsorgt, bargen die Archäologen und ihre Helfer in der Lotharpassage jedes Bruchstück.
Eine Berliner Chemikerin, die in diesem Jahr mit der Analyse römischer Ziegel promoviert wurde, hat sich jetzt gemeinsam mit den Mainzer Archäologen an ein amerikanisches Forschungslabor gewandt. Am Forschungsreaktor der University of Missouri in Columbia sollen Wissenschaftler für eine Zusammenarbeit gewonnen werden, um den Mainzer Ziegeln noch mehr Geheimnisse zu entlocken.
© 2005 Allgemeine Zeitung Mainz
Text: Gerd Funke
Foto: hbz / Jörg Henkel